Die Öffentlichkeit Ungarns hat mit Protest-Aktionen erfolgreich die umstrittene Internet-Steuer gekippt. Wie schon 2013, als die Deutsche Telekom die Netzneutralität mit einer selektiven Breitband-Drosselung aushebeln wollte und damit einen Sturm der Entrüstung auslöste, zeigt sich erneut: Mobilisierung ist dann am einfachsten, wenn es direkt oder indirekt ums Geld der Bürger geht. Netzaktivisten sollten dies besser nutzen.
In der vergangenen Woche geschah in Ungarn etwas Beachtliches: Der absurde Plan von Minsterpräsident Viktor Orban und seiner Partei Fidesz, Internet-Traffic mit einer auf Gigabyte-Basis berechneten Steuer zu belegen, sorgte für weitreichende Proteste sowohl im europäischen Ausland wie auch bei den Bürgern des osteuropäischen Landes. Nachdem es zu spontanen Protestdemonstrationen mit Zehntausenden Teilnehmern kam und eine Facebook-Gruppe schnell Hunderttausende Kritiker des Vorhabens zusammenbrachte, sah sich Orban gezwungen, das unpopulare Projekt erst einmal auf Eis zu legen.
Die Ereignisse sind bemerkenswert, weil im Gegensatz zu anderen an den Grundpfeilern der Demokratie sägenden Maßnahmen des mit autoritären Regimen liebäugelnden ungarischen Staatsoberhaupts schnell ein derartig öffentlicher Druck entstand, dass er eine Durchsetzung nicht mehr für praktikabel hielt. Und warum regte sich in der Bevölkerung und selbst bei sonst regierungstreuen Amsträgern Widerstand? Auch deshalb, weil es ums Geld ging. Das Geld der Bürger. Es herrschte die begründete Furcht, dass die gemäß Konzept für die Abführung der Steuer verantwortlichen Provider die Mehrkosten auf die Endanwender abwälzen würden.
Dass ausgerechnet die jüngste Initiative von Orban, der in den letzten Jahren eine Reihe umstrittener Gesetze erließ, die Ungarn mit Nachdruck und Erfolg auf die Barrikaden trieb, mag verschiedene Ursachen haben. Dass die Internetnutzung teurer werden sollte, hat sich mit Sicherheit auf die Intensität und Emotionalität der Reaktionen ausgewirkt.
Einen ähnlichen Effekt konnten wir 2013 bei einem anderen, ähnlich gelagerten Sachverhalt in Deutschland beobachten: Als die Telekom bekannt gab, Breitbandanschlüsse mit hohem Datenverbrauch drosseln zu wollen, sorgte dies im Land für einen Sturm der Entrüstung. Aus allen Richtungen kam Kritik – selbst von der Bundesregierung. Eine Petition gegen die Einschnitte konnte in kürzester Zeit mehr Stimmen einsammeln als die Petition gegen das Leistungsschutzrecht über die gesamte Laufzeit. Nach und nach krebste der Telekommunikationskonzern zurück, um schließlich die Drossel-Idee für Flatrate-Tarife ganz aufzugeben.
Erfolgreiche hatte sich die Öffentlichkeit gegen einen der bis dato frechsten Versuche gestemmt, die Netzneutralität auszuhebeln. Denn die Telekom wollte eigene Dienste und Kooperationspartner von der Drosselung ausnehmen. Doch wie kam es, dass plötzlich so ein großes Interesse am Schutz der Netzneutralität bestand, obwohl sich zu dem wichtigen Thema sonst nur ein paar Blogger, Aktivisten und Netzpolitiker wirklich engagieren? Ganz einfach: Der Otto-Normal-User befürchtete akute Nachteile für die eigene Internetnutzung. Der Gedanke, nicht mehr mit bester Geschwindigkeit Filme, Musik und Spiele herunterladen beziehungsweise streamen zu können, löste konkrete Sorgen aus, was sich in umgehender öffentlicher Empörung niederschlug.
Abgesehen von Spezialisten, die tief in der jeweiligen Materie stecken, ist eine kompetente Evaluation der langfristigen Folgen von politischen, technischen oder juristischen Beschlüssen keine Stärke des Menschen und vor allem eine mühselige Angelegenheit. Wenn aber direkt (durch höhere Preise) oder indirekt (durch Einschränkungen bisher für selbstverständlich gehaltener Leistungslevels) das eigene Geld betroffen ist, dann müssen Verbraucher nicht lange nachdenken; dann verstehen sie, dass sie das nicht gutfinden können.
Was im Falle unpopulärer, aber notwendiger politischer und sozialer Strukturreformen oft ein Hindernis bei der Kompromissfindung darstellt, übernimmt hier die Rolle eines wichtigen Proxys. Bürgerrechte oder Netzneutralität sind unpopuläre, langweilige Themen, mit denen sich keine Stammtische unterhalten und keine Massen mobilisieren lassen. Erkennen Konsumenten jedoch, dass für sie aus Beschlüssen finanzielle Nachteile resultieren, dann ist die Protestbereitschaft oder zumindest die moralische Unterstützung der Protestierenden plötzlich da.
Dieser Mechanismus lässt sich auch für andere, üblicherweise als ermüdend empfundene, aber kritischen Sachverhalte nutzen. Würden Menschen die für sie im Endeffekt entstehenden Kosten von beispielsweise Massenüberwachung, Leistungsschutzrecht oder Klimawandel kennen, könnte es gut sein, dass dies Hunderttausende auf die Straße triebe. Organisationen und Interessengruppen sollten diese Tatsache besser nutzen – nicht zuletzt die, die sich für die Beibehaltung eines freien, nicht Überregulierung und Überkommerzialisierung zum Opfer fallenden Internets einsetzen. Denn sämtliche Schritte in diese Richtung verursachen ultimativ Kosten für die Bürger. Nur sind diese nicht immer so offensichtlich wie bei der Telekom-Drosselung und Viktor Orbans Traffic-Steuer. /mw
Foto: empty purse, Shutterstock
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